In des Schattengeistes Gruft

Ein alptraumhafter Fieberwahn vom Sterben in den düsteren Senkgassenmooren

Auch wenn ich bereits meine Stimme und Sprache  und natürlich mein Leben zurückgefordert und erstritten habe, so sind diese längst noch nicht wieder jene, die zuvor erklangen. Wie Asche nach einer feuerbrünstigen Verheerung sich über das verbrannnte Land legt, klingt meine Stimme, genau wie mein Gemüt, noch danach, als ob sie ebenfalls zu Asche wurden. Ich kann nicht sagen, ob sie jemals wieder vollkommen die meinen werden, sicher ist nur, dass nichts wieder sein kann, wie es einstmals war.

Ohne Halt irrte mein Geist in verstörender Furcht, durch Nebel, durch Schwaden, durch Dünste von abartiger Beschaffenheit. Immer gezwungen, den dämmrig von Schock und Panik verklärten Blick auf die entstellte Fratze zu richten, die einst mein Antlitz gewesen war. In fiebrigen Träumen von betäubender Wucht legte sich der Schleier des aufzehrenden Hasses in ewig nichts-rankendem Griff um das, was den Schädel mit dieser irrsinnigen Fratze trug. Ich wollte ihm entgleiten, meinen Geist herauswinden aus dem was mich hielt, doch hielt mich nichts, was mir zu greifen war. Auch es zu fassen gelang mir nicht und so verfiel ich in unerhört schreiende Tatenlosigkeit. Verlor alles, selbst meine Seele und war doch Geist. Wie schwere Dunstwolken waberte ich durch das Gitter in geisterhafter Ungestalt dem unerreichbaren Boden entgegen, der trügerisch Hoffnung versprach auf Ruhe, auf Ende, auf Erholung im Tod.

Von beißendem Spott gesäumt ging es hinab, immer weiter hinab, in die Tiefen dessen, was die Geister untoter Seelen zusammen hält. In des Schattengeistes Gruft, in der es nach ewig vergehendem riecht, nach Entstellung und Resten von ehemals sehnendem. Kalter Stein, der sich zu surrealen Türmen und Hügeln formt, umzüngelt von blauen Flammen, die niemals Wärme spenden. Und alle Umgebung getaucht in jedem Sinn höhnisch spottenden Auren aus scheußlichen Farben und schmerzenden Klängen. Um sich schlagende, nach rettendem Ufer suchende Erscheinungsformen umspukten mich, nicht mehr als aus dem Leben gepresste Extrakte dessen, was einst Leib und Seele und Leben war.

Auf verrottenden Gebeinen wurde ich gezwungen, Zeuge zu sein meines nicht enden wollenden Abtritts aus der Welt. Umgeben von in Grau gehüllten unbekannten Gestalten, die den Platz einnahmen, an der jene hätten stehen sollen, die mich liebten, die ich liebte. Deren Wehklagen drang nur diffus aus der Ferne an mich heran und schmerzte umso klarer. Die grauen Gestalten bestanden aus düsteren Umhängen, gefüllt mit all meinen Verfehlungen und Unterlassungen, meinen Ängsten und Sünden. Sie bildeten ein Oval in dessen Mitte statt einem Sarg oder einer Grabstätte nur gestaltloses, versinnbildlichtes Nichts immer weiter mit lehmiger Erde bedeckt wurde. Schaufel für Schaufel flogen kleine Häuflein klebriger Brocken Drecks, ohne jemals das Nichts, das ich war, endgültig zu bedecken.

Ein Totengesang ging mir durch Mark und Bein, in ewig sich schleifender Wiederholung. Das Lied von den Resten, die wir Schattengeister einst waren und bleiben würden. Von zerfallenen Knochen und von modrigem Wasser, das sich zu bizarren Leibern bar jeder Körperlichkeit formt. Wiedergeben lässt sich das von niemals endenden Ängsten geschürte Lied nicht. Ich kann nur auf Gedankenfetzen niederschreiben, was mich in den unendlichen Momenten meines Verbleibs in der Gruft nachhaltig verstörte. Auf Fetzen, die von dem was ich zu berichten hätte, mit jedem auf ihnen zu viel aufgebrachten Wort selbst mehr zu Asche würden, bis dem sehenden Auge nichts davon verbleibt.

© Jo Wolf

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