Die Tür

Ein Alptraum aus den düsteren Mooren

Unvermittelt lichtete sich das abendliche Dämmerlicht des Waldes zu einem nebulösen Grau. Lange Zeit war seit meinem letzten Aufenthalt in den Mooren vergangen. Diesmal erwischte es mich hinterrücks bei einer Wanderung.

Das schummrige Gefühl vibrierender Watte in meinem Kopf verursachte Schmerzen und Übelkeit. Mein Achterbahn fahrender Kreislauf heizte diese zu noch größerer Intensität an, falls das überhaupt möglich war. Nasskalte Nebelschwaden umschmeichelten verräterisch meinen Leib. Ihr in Kontraste von Grauen getränkter Anblick verschluckte die in Diffusion erstickenden Farben zurückgelassener Auren. Ich klammerte mich an eine Ahnung von rot, gelb und blau, die sich meinen Griffen immerzu entzogen. Verächtliche Stimmen des Spottes untermalten meine sinnlosen Versuche. Was blieb mir, als mit krampfendem Herzen einherzutreiben?

Verklärten Blickes sah ich mich um. Nichts war, wie ich es zurückgelassen hatte. Gebäudeteile verteilten sich zerschlagen in der Umgebung, die Fluten des Wasserfalles stürzten nach oben herab und der Platz der Vielen verdichtete sich zu einem quetschenden Gefängnis voll kreischender Seelen. Zerstörung und Verdrehtheit, worauf auch immer ich mein Auge richtete. Das meiste war zerlegt in seine Einzelteile. Umwunden von rankendem Unheil und wabernden Dünsten über giftigen Sümpfen.

Nach und nach prägte sich ein jeder Anblick um mich herum ein. Brannte sich in mein inneres Auge. In jedem erkannte ich ein Bild in dem Bild und noch eins dahinter. Erfüllt von reizüberfluteter Ohnmacht setzte ich die Bilder zusammen. Eins nach dem anderen. Immer mehr verfestigte sich eine zerfressene Inkarnation meiner selbst. Von Furchen durchlaufen und riefenzersetzt schrie sie mich in Hochtonfrequenz an. Das fragmentierte Selbstbild ergab niemals ein ganzes und schien nichts als zerrissenes Chaos zu sein. Leblos und doch pulsierend.

Voller Abscheu wandte ich mich ab. Nur um auf die nächste, viel näher kommende Erscheinung zu schauen. Mit jedem Mal erschien sie toter und zugleich ergreifender. Dennoch wandelte sich mein Blick dadurch. Dahinter lagen weitere Bilder verborgen, ebenfalls zu Fragmenten zerschlagen. Auch sie ergaben mit längerem hinsehen ein zerschlagenes Ganzes. Eine morsche Tür, fest verschlossen und trotz ihrer zerfallenen Beschaffenheit undurchdringlich. Würmerzerfressen war ihr Holz, madenstrotzend der Türrrahmen, umgeben von beklemmender Enge.

In aufkeimender Panik rüttelte ich vergebens an der rasiermesserscharfen Klinke. Mit blutenden Fäusten trommelte ich auf die modrige Front, schrie mit erstickter Stimme nach Durchlass. Man solle nur die Türe öffnen und mein Entkommen ermöglichen. Unerhört schlug ich weiter auf die Tür und gleichermaßen mich selbst ein. Zerstörte ein Fragment nach dem anderen, bis die hochfrequenten Schreie in unerträgliche Bereiche drangen. Aus den Ohren blutend fasste ich mit beiden Händen meinen Kopf, wollte ihn selbst zerquetschen, um die unerträglichen Laute nicht länger ertragen zu müssen.

Mein vergeblicher Versuch stieß ich mich zurück in entmutigte Hoffnungslosigkeit. Dennoch prügelte ich wieder auf die mich umgebenden Bilder ein. Zerschlug mich selbst bis das verrottende Holz der Tür auf eigenartige Weise zersplitterte. Weiter, immer weiter drosch ich auf alles um mich herum ein, die Schmerzensschreie meines Spiegelbildes drangen in unmögliche Höhen vor. Als mein Trommelfell platzte, zerbarst gleichzeitig die gesamte Tür in Millionen Einzelteile. Splittergespickt fiel ich nach vorne, dann nach unten, in schwindelerregender Geschwindigkeit.

Der ungebremste Aufschlag ließ mich besinnungslos auf dem Waldboden zurück.

© Jo Wolf

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