Jo treibt Unfug #3

Im Alter von 15 Jahren lernte ich die Problematik des Geldmangels kennen. Die jugendlichen Bedürfnisse riefen einfach nach immer mehr Befriedigung und oftmals ließen diese sich mittels Währung stillen. Sei es der Erwerb von Musikalben, Kleidung nach dem eigenen Geschmack (Mütter können merkwürdige Vorstellungen von Kleidsamkeit haben^^) oder der Gang in für mich neu entdeckte Etablissements. Das Taschengeld reichte dafür einfach nicht mehr. Lukrative Schülerjobs eröffneten sich allerdings meist erst mit dem Erreichen des 16. Lebensjahres. Was also tun? Ein wichtigtuerischerer Klassenkamerad berichtete von den immensen Verdiensten einer Bekannten. Fast 50 Deutsche Mark wären ihr Stundenlohn. Äußerlich gab ich mich gefasst und unbeeindruckt. Innerlich fasste ich einen Entschluss. Heute würde mein großer Tag sein. Und das Ende aller Geldsorgen. Gelassen erkundigte ich mich nach ihrer Branche und fuhr dann nach Unterrichtsende schneller als sonst heim. Das Mittagsessen wurde herunter geschlungen und dann ging es zum Telefon. Ich war bereit für mein erstes Bewerbungsgespräch.

*Tuuuut tuuuuut tuuuut…*

„Beerdigungsinstitut Tiefenloch. Sie sprechen mit Frau Eichennagel. Guten Tag!“

„Guten Tag, Jo Wolf hier. Ich möchte mich um eine Stelle bei ihnen bewerben.“

„Ja, das ist sehr freundlich, wir haben allerdings derzeit keine freie Stelle.“

„Nichtmal für einen Schülerjob nachmittags, oder in den Ferien?“

Stille.

„Hallo? Frau Eichennagel? Sind sie noch dran?“

„Ähm, wie alt bist Du denn…?“

„Schon 15, bis ich 16 werde dauert es auch nicht mehr sooo lange.“

„Und Du willst was genau…?“

„Wie ich sagte, ich suche einen Schülerjob.“

„Ja aber doch nicht hier bei uns. Wir sind ein Beerdigungsinstitut!“

„Doch natürlich! Wieso denn nicht?“

„Was stellst Du Dir denn vor, bei uns zu machen?“

„Ich dachte an Leichen waschen, da soll man gut verdienen können.“

Stille.

„Hallo?“

„Wir lassen doch keine Schüler die Leichen waschen… Ist das ein Telefonscherz…?“

„Nein. Wieso denn nicht? Ich kann mich selber waschen. Da werd ich doch auch ne Leiche waschen können. Ganz bestimmt!“

Stille. Dann Lachen. „Das ist ein Streich, oder? Du kannst hier doch keine Leichen waschen, es gibt keine Schülerjobs in Leichenhallen. Da gehört auch viel mehr zu als nur ein bisschen waschen. Die Verstorbenen werden hergerichtet, geschminkt… Das verlangt eine gute Ausbildung und wir arbeiten sehr diskret. Was würden denn die Hinterbliebenen sagen, wenn wir Schüler die Leichen herrichten ließen?“

„Hm, na gut, ich gebe zu, schminken ist nicht so meine Stärke. Aber die Vorwäsche kriege ich hin. So das Grobe, bevor es an die, ähm… Details geht, also die Feinarbeiten, meine ich. Das würde ihnen doch auch eine Menge Arbeit abnehmen und den Rest kann ich lernen, ich bin sehr motiviert!“

„Die…. Details…? Ich weiß nicht, was Du meinst. Aber, du kannst hier nicht arbeiten. Du hast ja nichtmal einen Schulabschluss in deinem Alter!“

„Ach wir lernen hier in der Schule ohnehin nichts, was mir beim Leichenwaschen helfen würde. Aber wenn ich den habe, kann ich ja eine Ausbildung bei ihnen machen.“

„Wir bilden nicht aus. Als was denn überhaupt?“

„Naja, das werden sie besser wissen als ich. Was kann man denn für Ausbildungsberufe in ihrer Branche machen? Aber wenn sie Schüler nicht sofort an Leichen waschen lassen, kann ich auch zunächst andere Arbeiten machen. Aufpassen, falls eine Leiche wieder aufwacht oder so.“

„Die wachen nicht auf!“

„Wie wollen sie das wissen, wenn keiner Wache steht?“

„Wir, die kommen erst hierhin, wenn… die wachen nicht auf!“

„Was zahlen Sie denn für Putzkräfte, die Leichenhallen säubern? Den Boden wischen kann ich auf jeden Fall. Die Waschtische auch. In meiner Freizeit kann ich mit Kajal und Lippenstift üben. Für später, wenn sie mich an die Leichen lassen.“

„Dafür haben wir Reinigungskräfte. Auch das sind keine Schüler!“

„Ich mache es für weniger. Was zahlen Sie denen?“

„Wir beschäftigen keine Schüler! Meine Güte, bist Du ein hartnäckiges Früchtchen. Aber ich lege jetzt auf.“ Sie lacht immer noch. „Du kannst Dich dann ja in einigen Jahren wieder bei uns bewerben.“

„Aber ich…“ … *tuuuut* … „Hallo? Frau Eichennagel?“

Enttäuscht und desillusioniert ließ ich die Schultern hängen und legte ebenfalls den Hörer auf, als meine Mutter den Raum betrat.

„Mit wem hast Du telefoniert, Jo?“

„Ach, ich hab mich nur nach einem Schülerjob erkundigt. War aber nichts.“

„Du kannst ruhig ein bisschen selbstbewusster werden, wenn Du mit Fremden telefonierst, Jojo. Du brauchst Dich nicht zu verstecken. Schulter nicht hängen lassen und deutlich sprechen. Lass Dich nicht einschüchtern. Einfach klar sagen, was Du willst, dann klappt das schon.“

„Ja, Mama, ich werde es beim nächsten mal versuchen…“

© Jo Wolf

12 Antworten auf „Jo treibt Unfug #3

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    1. Ja, mit dem Schülerjob hat es geklappt. Aber ich musste in der Getränkebranche hart schuften für wenig Geld. Dafür gab es Gratisdrinks, was ich zu der Zeit auch zu schätzen wusste^^

      Die Pläne in Richtung Leichenwäsche habe ich dann fallen lassen. Der Zugang in das Arbeitsfeld erschien mir sehr verbarrikadiert. Da habe ich mich dann nach anderen Betätigungsmöglichkeiten umgesehen. 😉

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  1. Oh Gott Jo hahahaha! Ich bin auf dich gestoßen, nachdem du meinen Beitrag gelesen hattest. Deine Erzählungen gefallen mir sehr gut und du schreibst ungefähr so, wie ich gerne schreibe. Humorisitische Dokumentationen des Lebens! Ich musst gerade ganz schön lachen bei der Arbeit. Ich lese gerne weiter, was du schreibst!

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    1. *gg* das freut mich Siv, ich habs gern, anderen den Arbeitstag zu verschönern, Lachpausen sind wichtig 😀 Les gerne weiter mit, erzähl es nur bitte nicht weiter, nicht dass ich in Verruf gerate 😉

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